Geeste: Die letzten Kriegswochen des Jahres 1945 waren in den Kriegsgefangenenlagern und KZ-Außenlagern im mittleren und südlichen Emsland und der Grafschaft Bentheim geprägt von Räumungsmärschen, Chaos und Tod. Anfang April erfolgte die Befreiung durch die vorrückenden britischen, kanadischen und polnischen Einheiten. Vom 3. bis 7. April nahm die 2. Britische Armee Stadt und Kreis Lingen ein, am 7./8. April das 2. Kanadische Korps (4th Canadian Armoured Division) die Stadt Meppen. Zuvor hatten die Briten und Kanadier die Lager XIV Bathorn und XIII Wietmarschen sowie die zu diesem Zeitpunkt vollständig geräumten Lager XV Alexisdorf und XII Dalum erreicht.
Bereits am 24. März 1945 hatte die SS die Lager IX Versen und XII Dalum, die seit Ende 1944 / Anfang 1945 als Außenlager des KZ-Neuengamme bestanden hatten, evakuieren lassen. Die KZ-Häftlinge wurden zu Fuß auf Räumungsmärsche über Haselünne nach Cloppenburg geschickt. Dort wurden sie zunächst zu Aufräumarbeiten am Militärflugplatz herangezogen, bevor sie mit dem Zug über Bremen nach Neuengamme weiter transportiert wurden. Den Strapazen waren viele entkräftete Häftlinge nicht mehr gewachsen. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 25 Häftlinge des Lagers Dalum und bis zu 75 Häftlinge des Lagers Versen bei diesen Evakuierungsmärschen ums Leben gekommen sind.
Tommaso A. Melisurgo erlebt die Befreiung als italienischer Kriegsgefangener („Militärinternierter“) im Lager XI Groß Hesepe: »Groß Hesepe, Donnerstag, den 5. April 1945 […] Im Lager herrscht große Aufregung unter den Gefangenen: Allen steht die Erwartung der baldigen Befreiung ins Gesicht geschrieben… Es kann sich nur noch um wenige Stunden handeln. […] Es ist 18 Uhr: Unsere Kerkermeister sind verschwunden. Jetzt sind wir frei. Ich bin frei! Alle jubeln… Wie eine große Explosion bricht ein Freudenschrei aus den Herzen aller hervor. Es spielen sich bewegende Szenen ab: Die Gefangenen umarmen sich und wünschen einander und ihren Familien alles Gute.« Nach Erinnerungsberichten ehemaliger Internierter befanden sich im Lager Groß Hesepe zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Italiener, davon 400 Kriegsversehrte und Schwerkranke, 100 Tbc-Kranke, 100 bei der Arbeit verstümmelte Soldaten und 40 Offiziere im Alter von mehr als 60 Jahren.
In ähnlicher Weise erinnert sich Umberto Olombardi, der als italienischer Militärinternierter im Lager X Fullen inhaftiert ist: „Die Freiheit erreichte uns plötzlich am 05. April […]. Sie sind nicht mehr da, sie sind weg.“ Die Militärinternierten blieben noch einige Wochen in den Lagern, bevor sie im geschlossenen Verband über Meppen abzogen. Erst für den 20. August notiert der ehemalige italienische Militärinternierte Ferruccio Francesco Frisone in seinem Tagebuch fest: „Wir packen unsere Rucksäcke.“
Am 9. April erfolgte schließlich die Befreiung des Lagers VIII Wesuwe. Der sowjetische Kriegsgefangene Aleksandr Machnatsch fasst seine Erlebnisse in einem Brief zusammen: „Jetzt erst bin ich frei. Am 9. April 1945 wurde ich (zum zweiten Mal) neu geboren. An diesem Tag befreiten unsere verbündeten kanadischen Truppen an der Grenze Hollands das Konzentrationslager inmitten der öden Moore. Dorthin waren wir rund 500 Kommandeure am 1. Dezember 1944 gebracht worden, wo täglich 18 – 20 Menschen aus Hunger starben. Wer dort umfiel, stand dann nicht mehr auf. Ich bestand nur noch aus Knochen, Wunden öffneten sich, und ich stand nicht mehr auf. Noch 10 – 12 Tage, und ich wäre nicht mehr unter den Lebenden gewesen.“
Zwischen 1933 und 1945 unterhielt der nationalsozialistische Staat im Emsland und der Grafschaft Bentheim 15 Gefangenenlager. Alle Lager waren als Teil des Systems von SS, Justiz und Wehrmacht Orte des Terrors. Bis zum Kriegsende mussten die Häftlinge und Gefangenen schwere Zwangsarbeit in der Moorkultivierung, in der Torf- und Rüstungsindustrie, in Landwirtschaft und Handwerk und weiteren Arbeitskommandos leisten. In den Emslandlagern litten in der Zeit von 1933 bis 1945 insgesamt bis zu 10.000 KZ-Häftlinge und bis zu 70.000 Strafgefangene, während des Krieges zusätzlich weit mehr als 100.000 Kriegsgefangene. Mehr als 20.000 Menschen, die meisten von ihnen sowjetische Kriegsgefangene, verhungerten, starben an Erschöpfung und Krankheiten, als Folge körperlicher Misshandlungen oder wurden „auf der Flucht erschossen“.
(Foto: Sammlung Bragulla, Münster )
(22.04.20)