Osnabrück/Recklinghausen (NRW): Vor gut eineinhalb Jahren (12.02.20) gelang Osnabrücker Ermittlungs- und Justizbehörden, in enger Zusammenarbeit mit den Koblenzer- sowie den türkischen Sicherheitsbehörden, ein großer Schlag gegen eine internationale Betrüger-Bande im Kontext sogenannter falscher Poli-zeibeamte. Dabei konnte das rund 70 Mitglieder starke kriminelle Netzwerk zerschlagen und mehrere Callcenter in der Türkei stillgelegt werden. Auch den mutmaßlichen Kopf der Bande sowie Drahtzieher konnte die Polizei ermitteln und festnehmen. Jetzt ziehen Polizei und Justiz ein erstes Resümee.
Die eingerichtete Ermittlungsgruppe „Phänomene“ der Zentralen Kriminalinspektion Osnabrück ermittelte – unter Federführung der Staatsanwaltschaft Osnabrück – insgesamt 32 Tatverdächtige und ordnete 93 Taten in zehn Bundesländern dieser Callcenter-Bande zu – mehr als 50 Taten geschahen allein in Nordrhein-Westfalen. Der Schaden bei den betrogenen Opfern liegt bei rund 2,6 Millionen Euro. Ein großer Teil der Betrüger wurde bereits in Deutschland rechtskräftig verurteilt, unter anderem wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges. „Unsere Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt. Wir konnten zahlreiche Täter ermitteln und viele Taten aufklären. Auch das Strafmaß bei den Verurteilungen war teilweise sehr deutlich und wird sich hoffentlich bei den Kriminellen rumsprechen“, so Marco Ellermann, Sprecher der Polizeidirektion Osnabrück.
Mehr als die Hälfte der Täter wurden bereits bundesweit verurteilt, allein 13 Verurteilungen erließen deutsche Gerichte aufgrund von Anklageerhebungen durch die Staatsanwaltschaft Osnabrück. Die Urteile reichen von neun Monaten bis hin zu sechs Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Darüber hinaus laufen derzeit noch mehrere Prozesse bei verschiedenen Gerichten sowie Ermittlungen in unterschiedlichen Polizeidienststellen. Dazu gehört auch ein Gerichtsverfahren, welches seit letzter Woche (09.11.21) vor dem Landgericht Osnabrück verhandelt wird. Dabei soll ein 32-jähriger Angeklagte als eine Art „Regional-Leiter“ für den Bereich Rheine und Umgebung agiert und dabei u. a. Fahrer sowie Abholer akquiriert sowie deren Einsäte organsiert und koordiniert haben. Zudem soll er den Transfer der Tatbeute zu den Hintermännern in der Türkei koordiniert haben. Der 25-jährige Angeklagte soll bei den Taten als „rechte Hand“ des 32-jährigen Angeklagten fungiert haben, unmittelbarer Weisungsgeber der Abholer und Fahrer gewesen sein und mitunter diese auch ausgesucht und rekrutiert haben. Einer der Fahrer soll der 28-jährige Angeklagte gewesen sein. Insgesamt soll aus diesen Taten ein Betrag von ca. 600.000 Euro erlangt worden sein, wobei der Anteil des 28-Jährigen im Verhältnis gering war.
Bei der konzertierten Polizei-Aktion im Februar 2020 gab es in Deutschland 19 Durchsuchungen von Wohnungen, Geschäftsräumen und Fahrzeugen – allesamt in Nordrhein-Westfalen (Köln, Bochum, Frechen, Münster, Datteln, Rheine, Olfen und Dortmund). Dabei konnten vier Personen (drei Männer und eine Frau) in Datteln und Rheine festgenommen werden. Die drei Männer wurden bereits zu Freiheitsstrafen verurteilt, in einem Fall zu drei Jahren und sechs Monaten. Der Prozess gegen die Frau als Gehilfin in diesem Verfahrenskomplex wird in absehbarer Zeit vor dem AG Wilhelmshaven beginnen. Zeitgleich zu den Durchsuchungen in Deutschland gab es zudem in den beiden türkischen Städten Antalya und Istanbul gleichgelagerte Aktionen türkischer Polizei-Behörden. Bei den über 20 Durchsuchungen in der Türkei konnten 24 Personen festgenommen werden, darunter auch mutmaßliche Drahtzieher und Köpfe der Bande. Mit Verurteilungen der türkischen Tatverdächtigen ist vor 2022 nicht zu rechnen.
Die Ermittler gehen davon aus, dass die Millionen-Beute über verschiedenste Wege in die Türkei gelangte. Dabei spielt Geldwäsche eine bedeutende Rolle, um das inkriminierte Vermögen in den legalen Finanz-. Und Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Die Geldwäscheermittlungen dauern an. Der Ursprung des Ermittlungskomplexes: Im September 2018 hatte der Sohn einer rund 80 Jahre alten Dame aus Osnabrück der Polizei in Osnabrück den Hinweis gegeben, dass seine Mutter Anrufe von falschen Polizisten erhalte. Im Anschluss nahmen die Ermittlungen ihren erfolgreichen Verlauf.
Das Vorgehen der Täter:
Aus den in der Türkei befindlichen Callcentern heraus nahmen die kriminellen Anrufer telefonisch Kontakt auf zu möglichen Opfern im Bundesgebiet auf. In der Regel stellten sich die Anrufer als Polizeibeamte oder Staatsanwälte vor und behaupteten, das Vermögen der betroffenen Senioren sei durch aktuell aktive Einbrecherbanden und/oder durch korrupte, kriminelle Bankmitarbeiter bedroht. Im Rahmen der Telefonate, die sich häufig über mehrere Stunden erstreckten oder an mehreren Tagen wiederholten, wurden die Opfer psychisch massiv unter Druck gesetzt. Gelang es den Anrufern, sich das Vertrauen der Senioren zu erschleichen, wurden diese regelmäßig dazu überredet, große Mengen an Bargeld, Gold oder anderen Wertge-genständen an vermeintliche Polizeibeamte herauszugeben. Die Täter aus dem Callcenter beschränkten sich dabei auf solche potentiellen Opfer, bei denen sie eine Beute im Wert von mindestens 10.000,- Euro oder mehr erwarteten. In einem Einzelfall aus Niedersachsen erbeu-teten die Täter Anfang 2020 insgesamt 10 Kilogramm Gold mit einem Gesamtwert von mehreren Hunderttausend Euro. Die beschriebene Betrugsmasche wird in dieser oder ähnlicher Form seit Jahren durch unter-schiedliche Gruppierungen praktiziert. Trotz umfangreicher polizeilicher Aufklärungsarbeit gelingt es den Tätern immer wieder, ältere Menschen dergestalt hinters Licht zu führen. Die Polizei warnt eindringlich vor den dubiosen Machenschaften der Betrüger und rät, sich am Telefon von Fremden nicht in ein Gespräch verwickeln zu lassen. „Legen Sie sofort auf und benachrichtigen Sie die echte Polizei“, so Ellermann.
Hintergrund:
Das Callcenter-Verfahren wurde in der Polizeidirektion Osnabrück seit Oktober 2019 von einer eigenen Ermittlungsgruppe namens „Zentrale Ermittlungsgruppe Phänomene“ (ZEG Phänomene) begleitet. Diese Ermittlungsgruppe ist auf Dauer eingerichtet, um solche Verfahren schnell und flexibel übernehmen zu können. Auch die Staatsanwaltschaft Osnabrück richtete 2019 eine entsprechende fest integrierte Schwerpunktstaatsanwaltschaft ein. Bei der Auswahl der in Frage kommenden Schwerpunkte spielen Faktoren wie Bandenstruktur, Überregionalität, hohe Sozialschädlichkeit und Beeinträchtigung des Sicherheitsempfindens der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Deshalb befassen sich die Experten der „ZEG Phänomene“ seit geraumer Zeit auch mit Delikten zum Nachteil älterer Menschen, konkret mit dem Phänomen Betrugstaten durch „falsche Polizeibeamte“. Dabei stehen insbesondere organsierte Täterbanden, wie im aktuellen Fall, im Fokus.
Die Polizei in Osnabrück und in ganz Niedersachsen hat mit intensiver Präventionsarbeit auf den starken Anstieg der Fallzahlen in den vergangenen Jahren reagiert. Neben Warnhinweisen in zielgruppengerechten Medien (wie zum Beispiel der „Apotheken-Umschau“) sind eine enge Zusammenarbeit mit den niedersächsischen Banken und gemeinsame Tagungen eingespielte Routine. In Osnabrück wurde sogar vom Präventionsteam ein Theaterstück mit professionellen Schauspielern entwickelt und geht in der Region auf Tour. Noch dazu startete das Landeskriminalamt Niedersachsen im März 2019 eine landesweite Präventions-Kampagne und verteilte Aufsteller, welche sich die Menschen neben das Telefon stellen können. So sollen möglichst viele potenzielle Opfer und ihr soziales Umfeld sensibilisiert und vor den Maschen der Telefonbetrüger gewarnt werden.
(Bilder: Polizei Osnabrück)
(PM)
(19.11.21)