Lingen: Im Rechtsstreit um die Ausfuhrgenehmigung von Brennelementen aus Lingen ins belgische Doel hat der Aachener Kläger einen wichtigen Etappensieg errungen:
Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat in einem Beschluss vom 16. Oktober festgestellt, dass bis zum endgültigen Urteil im Hauptverfahren die Brennelemente nicht geliefert werden dürfen.
In seiner Begründung lässt das Gericht Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Exportgenehmigung erkennen. Das Anti-Atom-Bündnis, welches die Klage unterstützt, fordert von der Bundesregierung klare Konsequenzen und ein Moratorium für derartige Brennelement-Exporte.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt hat in seinem Beschluss vom letzten Freitag den für Oktober und November beantragten Sofortvollzug für einen Brennelement-Export zu den umstrittenen Pannenmeilern Doel 1 und 2 in Belgien einen Riegel vorgeschoben.
Durch die aufschiebende Wirkung der Klage eines Aachener Atomkraftgegners gegen die Genehmigung der Exporte dürfen die Brennelemente seit Monaten nicht geliefert werden. Die EdF-Tochter ANF, die Betreiberin der Brennelement-Fabrik in Lingen, hatte mit zwei Eilanträgen versucht, diese aufschiebende Wirkung durch ein Gericht aufheben zu lassen und die sofortige Vollziehbarkeit des Brennelement-Exports durchzusetzen. Damit ist sie nun auf ganzer Linie gescheitert.
Für den Aachener Kläger ist das ein bedeutender Etappensieg. Die ihn vertretende Rechtsanwältin, Dr. Cornelia Ziehm, zeigt sich äußerst zufrieden:
„Das VG Frankfurt/Main hat die Anträge der Advanced Nuclear Fuels GmbH im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf ganzer Linie zurückgewiesen. Das Gericht erachtet es als durchaus möglich, dass betroffene Bürger und Bürgerinnen die Rechtmäßigkeit atomrechtlicher Exportgenehmigungen zur Überprüfung stellen können. Zudem nimmt das Gericht ein überwiegendes Schutzinteresse des klagenden Aacheners an, weshalb durch Export der Brennelemente nach Doel keine Fakten geschaffen werden dürften. Das heißt, die ANF darf zunächst keine Brennelemente nach Doel exportieren. Der Beschluss ist damit ein wichtiger Schritt hin zu einem Schutz der Bürger und Bürgerinnen gegen die Gefahren, die mittels Brennelementen aus Deutschland vom Betrieb ausländischer Pannenreaktoren ausgehen.“
Ob die Klage im Hauptsacheverfahren überwiegende Aussicht auf Erfolg hat, lässt das Gericht offen. Es sieht jedoch einige Gründe, die für die Zulässigkeit und Begründetheit und damit den letztlichen Erfolg der Klage sprechen. Das Gericht zieht u. a. in Zweifel, dass die Ausfuhrgenehmigung rechtmäßig erteilt wurde.
Das die Klage unterstützende Bündnis von Anti-Atom-Initiativen aus Aachen, Bonn, Münster und Lingen sowie der Ärzteorganisation IPPNW und dem Umweltinstitut München fordert deshalb von der Bundesregierung ein sofortiges Moratorium für alle Brennelement-Exporte, insbesondere für solche zu grenznahen Atomreaktoren.
„Spätestens jetzt, da von einem Gericht die Rechtmäßigkeit dieser Brennelement-Exporte in Frage gestellt wird, ist jede weitere Ausfuhrgenehmigung für Kernbrennstoffe ins grenznahe Ausland nicht nur verantwortungslos und politisch skandalös, sondern auch juristisch heikel,“ betont Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEL.“Die Bundesregierung muss diese Exporte endlich und mit sofortiger Wirkung stoppen.“
„Mag sein, dass das BMU in den letzten Jahren einiges versucht hat, um innerhalb der Koalition einen Stopp der Brennelement-Exporte zu erreichen. Nur das Naheliegende wurde nicht getan, nämlich das BAFA anzuweisen, solche Ausfuhrgenehmigungen zu verweigern. An dieser Stelle muss das BMU nun endlich die Verantwortung übernehmen,“ ergänzt Katrin Wolfarth vom Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie. „Und das BMWi muss endlich seine Blockadehaltung aufgeben, mit der bisher alles verhindert wurde, was einen Stopp der Brennelementlieferungen hätte herbeiführen können.“
Hintergrund:
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) ist generell eine dem Bundswirtschaftsministerium (BMWi) nachgeordnete Behörde. Im Falle der Ausfuhrgenehmigungen von Kernbrennstoffen ist jedoch das Bundesumweltministerium (BMU) weisungsbefugt. Allerdings hat es keine Möglichkeit, die Weisungen dienstrechtlich durchzusetzen, falls das BAFA sich weigert und das BMWi untätig bleibt.
Der Betrieb von Doel 1 und 2 ist nach Urteilen des EuGH und des belgischen Verfassungsgerichtshofs wegen einer fehlenden grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeits-prüfung rechtswidrig, wird aber bis Ende 2022 gerichtlich noch geduldet.
Die bundesweit einzige Brennelementefabrik steht in Lingen und wird von Framatome, einer Tochter des staatlich-französischen Atomkonzerns EDF betrieben, vor Ort auch als ANF (Advanced Nuclear Fuels) bekannt. Die Brennelementefabrik verfügt bislang trotz des beschlossenen deutschen Atomausstiegs über kein Stilllegungsdatum und versorgt neben den letzten noch laufenden deutschen AKW vor allem die Reaktoren Doel in Belgien, Cattenom in Frankreich sowie Leibstadt und Gösgen in der Schweiz.
Aktuell regt sich auch in Baden-Württemberg juristischer Widerspruch gegen eine im September erteilte neue Exportgenehmigung für Brennelemente von Lingen für das Schweizer AKW Leibstadt.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt schrieb hierzu:
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erteilte im März 2020 der Antragstellerin, die u.a. Brennelemente für Kernkraftwerke fertigt, eine Genehmigung zur Ausfuhr unbestrahlter Uranoxid-Brennelemente aus Deutschland nach Belgien.
Hiergegen erhob eine Privatperson im August 2020 Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt und beantragte, die Ausfuhrgenehmigung aufzuheben. Zur Begründung führte der Kläger an, dass das zu beliefernde Kernkraftwerk in Belgien auf Grund seines Alters ein hohes Sicherheitsrisiko darstelle. Die Ausfuhrgenehmigung verletze ihn persönlich in seinen Rechten auf Leben, Gesundheit und Eigentum, da er im Grenzgebiet zu Belgien lebe.
Mit ihrem Eilantrag möchte die Antragstellerin nunmehr gerichtlich festgestellt wissen, dass die Klage der Privatperson gegen die ihr erteilte Ausfuhrgenehmigung keine
aufschiebende Wirkung hat, sie also keinen Ausfuhrstopp bewirkt und Ausfuhren von Brennelementen durchgeführt werden können. Denn die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Klage der Privatperson bereits offensichtlich unzulässig ist.
Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt und schriftsätzlich angeführt, dass die Entscheidung der gerichtlichen Klärung vorbehalten sei.
Die Kammer hat den Antrag abgelehnt. Soweit es in der für eine Eilentscheidung zur Verfügung stehenden Zeit beurteilt werden könne, sei die Klage der Privatperson nicht offensichtlich unzulässig und eine aufschiebende Wirkung nicht ausgeschlossen. Es handele sich aber um eine schwierige und komplexe Rechtsfrage des nationalen und des Unionsrechts, die bisher weder höchstrichterlich noch verwaltungsgerichtlich entschieden worden sei. Es sei damit zu rechnen, dass diese nur durch das Bundesverwaltungsgericht bzw. eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklärt werden könne. Weiterhin hat die Kammer es ausgeschlossen, selbst die Ausfuhrgenehmigung für sofort vollziehbar zu erklären, da sie kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse der Antragstellerin an der sofortigen Ausnutzbarkeit feststellen konnte. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass die Verwendung der Brennelemente in Belgien keine Gefahr für die Bundesrepublik bedeute. Seit Jahren würden von deutscher und niederländischer Seite gegen den Betrieb der betreffenden belgischen Reaktoren Sicherheitsbedenken erhoben, die auch der EuGH bereits festgestellt habe. Das Interesse der betroffenen Privatperson wiege – insbesondere aufgrund der nicht revidierbaren Endgültigkeit der Ausfuhr der Brennstäbe in ein anderes Staatsgebiet – schwerer.
Gegen den Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingelegt werden.
(Symbolbild)
(PM)
(20.10.20)