Lingen: Das letzte Betriebsjahr des Atomkraftwerks Emsland in Lingen ist angebrochen. Spätestens zum Jahresende 2022 wird es im Zuge des Atomausstiegs endgültig vom Netz gehen. Die Grünen im Landtag äußern nun scharfe Kritik am Sicherheitsmanagement von SPD-Umweltminister Olaf Lies. Trotz bekannter Korrosionsprobleme verweigert die Atomaufsicht eine vollständige Überprüfung aller potentiell betroffenen Rohre, wie eine grüne Anfrage belegt.
„Ein Atomkraftwerk darf nicht im Blindflug betrieben werden,“ kritisiert die grüne Landtagsabgeordnete Miriam Staudte. „Das AKW Emsland muss sofort abgeschaltet werden, bis jedes einzelne Rohr überprüft ist. Bislang ist völlig unklar, wie groß die Korrosionsschäden der Dampferzeuger tatsächlich sind“. Die Grünen blicken mit Sorge auf neue Erkenntnisse aus dem baugleichen AKW Neckarwestheim. Dort kommen jährlich neue Rostschäden ans Licht. Die Revision 2021 fand Schäden auch in Rohrbereichen, die bislang als unproblematisch galten und im AKW Emsland bislang gar nicht untersucht wurden. Der Unterschied zu Niedersachsen: Die grüne Atomaufsicht in Baden-Württemberg lässt jedes Jahr alle Dampferzeugerrohe auf voller Länge überprüfen. Umweltminister Olaf Lies hingegen ließ nur einen Teil der gefährdeten Rohre des AKW Emsland untersuchen. Aktuell gebe es „keine Hinweise, die auf einen aktiven Korrosionsmechanismus innerhalb der Dampferzeuger hinweise,“ heißt es in der Antwort an die Grünen. Den Grünen genügt das nicht: „Wer nicht in die dunklen Ecken guckt, will die Probleme offensichtlich nicht sehen.“
Volker Bajus, grüner Abgeordneter für das Emsland, kritisiert: „Umweltminister Lies vernachlässigt seine Aufsichtspflicht und nimmt damit die Gefahr von Störfällen in Kauf. Der Betreiber RWE und die Atomaufsicht handeln nach dem Prinzip Hoffnung, dass der alte Kessel noch bis zum Laufzeitende durchhält. Das ist ein eklatanter Bruch des öffentlichen Versprechens, dass höchste Sicherheitsanforderungen bis zum letzten Betriebstag umgesetzt würden.“ Auch bei der anstehenden Jahresrevision 2022 ist keine vollständige Überprüfung der rostanfälligen Dampferzeuger-Rohre geplant, so die Antwort der Landesregierung. Die „Sonderprüfungen“ von Teilen der Rohre in den Jahren 2019 und 2020 seien abgeschlossen.
Grüne fordern wie die Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt und das ‚Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland‘ eine vollständige Durchleutung aller Rohre. Im Atomkraftwerk Emsland wurden 2019 Risse an zwei Dampferzeuger-Heizrohren entdeckt. 2020 musste erneut ein schadhaftes Rohr verschlossen werden, an einem weiteren Rohr wurde fortschreitender Lochfraß festgestellt. In der Revision 2021 gab es ungeachtet der erneuten Funde keine weiteren Rohrprüfungen.
Betreiber und Atomaufsicht benennen Korrosion als Ursache der Schäden, diese sei auf den Eintrag von Verunreinigungen zurückzuführen. Im AKW Emsland und im AKW Neckarwestheim II wurden jeweils die gleichen Gegenmaßnahmen ergriffen: Vorsorgliches Verschließen potenziell betroffener Heizrohre, Spülungen der Dampferzeuger-Rohre und eine engmaschigere Kontrolle der wasserchemischen Parameter. Dennoch werden im AKW Neckarwestheim bislang jährlich neue Roststellen identifiziert. Wegen der fortschreitenden Korrosion klagt .ausgestrahlt aktuell auf sofortige Stilllegung des AKW Neckarwestheim II vor dem Verwaltungsgericht Mannheim.
Die nur 1,23 mm dicken Wände der Dampferzeuger-Heizrohre sind die sicherheitstechnisch wichtige Barriere zwischen dem radioaktiven Reaktorkreislauf (Primärkreislauf) und dem nicht-radioaktiven, die Turbinen antreibenden Wasser-Dampf-Kreislauf (Sekundärkreislauf). Bereits der Bruch eines einzigen der mehr als 16.000 Rohre stellte einen schweren Kühlmittelverluststörfall dar, weswegen alle von Spannungsrisskorrosion betroffenen Rohre umgehend verschlossen werden müssen.
(Symbolbild)
(PM)
(31.01.22)