
Lingen: „Es ist nicht unsere Kultur zum Tragen des Kopftuches gezwungen zu werden, es ist nicht unsere Kultur Frauen zu töten.“
Diese Botschaft richteten die exil-iranischen Referentinnen Mehrnaz Kameli und Donya Rahmati am Samstagabend, den 19. August 2023 bei ihrem Vortrag in der Kunsthalle Lingen an das Schweigen weiter Teile der westlichen Welt gegenüber dem Freiheitskampf der säkularen iranischen Bevölkerung.
Rund 90 Personen folgten der Einladung des Vereines „Frauen helfen Frauen Emsland e.V.“ zum Vortrag inkl. Spendenabend unter dem Motto „FRAUEN.LEBEN.FREIHEIT“. Um 18:00 Uhr öffnete die Kunsthalle Lingen ihre Türen. Die Gäste wurden mit Getränken sowie kulinarischen Köstlichkeiten am Snack-Buffet empfangen. Während des Einlasses konnten durch Videobeiträge von HÁWAR.help und Liedern der iranischen Opposition erste Eindrücke des Protestes für Frauen- und Menschenrechte gesammelt werden.
Um 18:30 Uhr hieß Frau Meike Behm, Direktorin der Kunsthalle Lingen, in ihrer Eröffnungsrede die Referentinnen, Organisatoren, das Publikum sowie die Ehrengäste Herr Werner Hartke, den zweiten Bürgermeister der Stadt Lingen (Ems) und Frau Marlies Kohne, die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Emsland herzlich willkommen. In ihrer Begrüßung legte Frau Behm ein besonderes Augenmerk auf die nachteilige Situation von Frauen in künstlerischen Berufen. Speziell ehrte Frau Behm die iranische Künstlerin Parastou Forouhar, die mit ihren Werken auf die Diskriminierung von Frauen in muslimischen Communitys aufmerksam macht.
Im Anschluss sprach Herr Werner Hartke in der Position des zweiten Bürgermeisters der Stadt Lingen (Ems) begrüßende Worte in den vollen Saal. Herr Hartke berichtete begeistert über eine Einschulung in einer emsländischen Grundschule, die er begleitete und lobte dabei die Integration von geflüchteten Schulkindern. Gleichberechtigte Schulbildung – Ein Menschenrecht, das in Deutschland zur Normalität gehört, wird z.B. in Afghanistan Schulmädchen systematisch verwehrt und im Iran durch Geschlechtertrennung sowie religiöse Indoktrination massiv untergraben.
„Frauen helfen Frauen“, der Name ist Programm. Die Vorstandmitglieder Christine Lux und Elisabeth Metzkovitz stellten dem Publikum im Rahmen ihrer Begrüßung die Vereinsarbeit vor und erklärten sich solidarisch mit Migrantinnen vor Ort sowie Frauen weltweit. Hierbei wurden die Projekte in Ägypten, Mosambik, Bolivien, Polen und Litauen betont sowie auf die interkulturellen Biografie- und Kochbuchveröffentlichungen aufmerksam gemacht. Johanna Freimuth, Politikwissenschaftlerin aus Köln, leitete mit einem überblick zum Status Quo nach ca. einem Jahr „feministische Revolution“ im Iran das Thema der Veranstaltung ein. Kritisch adressierte Worte an Deutschlands Verantwortung kamen dabei nicht zu kurz: Die deutsche Politik wurde aufgefordert, Druck auf die Islamische Republik zur Aussetzung der Todesstrafe und Freilassung des politischen Gefangenen, deutsch-iranischen Staatsbürgers Jamshid Sharmahd auszuüben. Die islamische Republik Iran entführte den unschuldigen Aktivisten Sharmahd während einer Dienstreise 2020 in Dubai. Ob er noch lebt, ist ungewiss.
Mehrnaz Kameli und Donya Rahmati von der Gruppe „Feminista.Bonn“ lieferten in ihrem ein-stündigen Vortrag einen Überblick zum Iran, zur Lage der Frauen und zu den Errungenschaften jener gegenwärtigen Frauen.Leben.Freiheit-Bewegung. Hierzu nahmen sie eine politisch-geografische Einordnung der Islamischen Republik vor und rekapitulierten die Geschichte iranischer Herrschaftsformen sowie die regelmäßigen säkularen Proteste gegen die Theokratie. Im Referat wurde die desolate Situation von Frauen, ethnischen sowie sexuellen Minderheiten fokussiert. Es ging um systematische Menschenrechtsverletzungen in Form von Berufsverboten, Entmündigungen, Kleidervorschriften über Zwangsheiraten und Ehrenmorden bis hin zu Vergewaltigungen als Foltermethode. Die Ausführungen der beiden Referentinnen wurden begleitet von eindrücklichen Bildern sowie emotionalen biografischen Erfahrungsberichten.
Dem Vortrag folgte eine kontroverse und im Kern doch friedlichen Diskussion. Die Debatte kreiste um Fragen zur Geschichte der iranischen Protestbewegung, zu Erfolgsaussichten der „feministischen Revolution“ und zu Deutschland Beziehungen zur Islamischen Republik. Moderiert wurde die Abschlussdiskussion durch Moritz Pieczewski-Freimuth, Erziehungswissenschaftler aus Köln.
Am Ende des Abends bestand Konsens im Saal: Die Entrechtung von Frauen und die Unterdrückung der Bevölkerung durch die islamistische Diktatur im Iran darf nicht in Vergessenheit geraten und muss ein Ende nehmen. Dass die Gäste der Veranstaltung und der Verein „Frauen helfen Frauen Emsland e.V.“ die Betroffenen nicht im Stich lassen, zeigt der stolze Spendenbetrag von 1164,50€, welcher am Abend erzielt wurde und der Menschenrechtsorganisation HÁWAR.help zu Gute kommt. Die Arbeit von HÁWAR.help umfasst die lautstärkste Interessenvertretung für die Jin, Jiyan, Azadi-Bewegung in Deutschland, Bildungsangebote für geflüchtete Frauen und Fußballprojekte für Mädchen aus patriarchalen Strukturen.
„Frauen helfen Frauen Emsland e.V.“ sendet ein großes Dankeschön an Mehrnaz Kameli und Donya Rahmati für den bewegenden Vortrag, an die Kunsthalle Lingen für die wertvolle Kooperation, an den Bürgermeister Herrn Hartke und die Gleichstellungsbeauftragte Marlies Kohne für ihr Engagement sowie an alle Gäste, die mit ihrem Erscheinen, ihren Fragen, Diskussions- und Essensbeitragen den Abend bereichert haben.
Die vielfältige Begegnung mit Migrantinnen vor Ort und die internationale Unterstützung von Frauen durch „Frauen helfen Frauen Emsland e.V.“ wird durch die Mitglieder motiviert fortgesetzt. Somit kann der Abend mit dem Slogan der iranischen Frauenbewegung 1979 resümiert werden: „Freiheit ist weder westlich noch östlich, sondern universal.“
Foto: Frauen helfen Frauen Emsland e.V.
(PM)
(28.08.23)